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Warum ein Friseur aus Bliesransbach mit 64 Jahren Lkw-Fahrer wird

Nach 125 Jahren schließt der Friseursalon von Volker Becker in Bliesransbach. Am 3. September 2022 ist die letzte Schicht.
Nach 125 Jahren schließt der Friseursalon von Volker Becker in Bliesransbach. Am 3. September 2022 ist die letzte Schicht.

Bliesransbach. Das Telefon klingelt permanent, einige Kunden kommen einfach so vorbei und fragen, ob gerade ein Platz frei ist. Volker Becker atmet zwischen Telefon, Terminkalender und Haare schneiden tief durch. „Ach ja“, seufzt er. „Noch 30 oder 40 Haarschnitte, dann war es das. Die Leute melden sich aktuell vermehrt, da sie alle noch einmal in Bliesransbach zum Friseur wollen“, sagt er. Am Samstag, 3. September ist Schluss. Dann schneidet der 64-Jährige die letzten Haare und sperrt danach am Mittag seinen Friseursalon zum letzten Mal und für immer zu.

 

Ich bin zwiegespalten. Es geht eine ganz große Ära zu Ende und es ist Wehmut dabei. Aber ich freue mich auch auf die Zeit danach und den Neuanfang“, sagt Becker.

Ur-Opa Johann Becker hat den Friseursalon in Bliesransbach im Jahr 1897 eröffnet.
Ur-Opa Johann Becker hat den Friseursalon in Bliesransbach im Jahr 1897 eröffnet.

Sein Ur-Opa Johann Becker hat den Friseursalon in Bliesransbach im Jahr 1897 eröffnet. Opa Hermann Becker hat im Jahr 1924 übernommen und als Bader den Menschen sogar Zähne gezogen. Vater Hans Becker übernahm im Jahr 1964. Seit 1999 führt Volker Becker den letzten Friseursalon in

Opa Hermann Becker hat im Jahr 1924 übernommen und als Bader den Menschen sogar Zähne gezogen.
Opa Hermann Becker hat im Jahr 1924 übernommen und als Bader den Menschen sogar Zähne gezogen.

Bliesransbach. Wenn er schließt, gibt es in dem beschaulichen Örtchen an der Oberen Saar keinen Friseur mehr. „Mir tut es vor allem Leid für die älteren Kunden. Für die war ein Besuch bei uns mehr als nur Haare schneiden“, sagt er.

Friseur-Salon in Bliesransbach lief immer sehr gut – bis Corona

Er hatte bei der Berufswahl Anfang der 1970er Jahre zwar eine Wahl, aber eigentlich auch keine Chance. Neben seinem Ur-Opa, seinem Opa und seinem Vater, waren auch zwei Onkel Friseure und seine Mutter Friseurin. „Wenn ich wirklich gewollt hätte, dann hätte ich etwas anderes machen können. Aber die Familie ging letztlich vor“, sagt Volker Becker. Er hat in Saarbrücken gelernt und in Heidelberg seinen Friseur-Meistertitel gemacht. Der Friseur-Salon in Bliesransbach lief immer sehr gut und er hatte zu Spitzenzeiten bis zu vier Mitarbeiter – dann kam das Corona-Virus. Die ganzen Lockdowns konnten mit der Überbrückungshilfe einigermaßen kompensiert werden. Das danach war viel schlimmer. Die Leute haben sich daran gewöhnt, dass es reicht, alle fünf oder sechs Wochen zum Friseur zu gehen und sich lediglich die Haare schneiden zu lassen. Die großen und aufwendigen Frisuren, die Geld bringen, möchte heute fast keiner mehr. Ich glaube, dass die Menschen zwar das Geld dafür haben, aber lieber sparen. Ich kann es ihnen nicht verdenken“, so Volker Becker.

Der kleine Volker und Papa Hans Becker. Hans Becker übernahm den Friseursalon im Jahr 1964.
Der kleine Volker und Papa Hans Becker. Hans Becker übernahm den Friseursalon im Jahr 1964.

Während ein normaler Haarschnitt mit Waschen und Föhnen etwa 15 Euro kostet, liegt der Preis beispielsweise bei einer Dauerwelle mit Färben bei rund 70 Euro. Wie er glaubt, machen das die Leute heute lieber zu Hause, wenn auch nicht so professionell. „Hinzu kommt ja auch noch, dass die Orte auf dem Land mittlerweile eher Schlafstätten als Wohnorte sind. In Ballungszentren geht man heute nach der Arbeit einkaufen und lässt sich dort irgendwo auch schnell noch die Haare schneiden. Es hat sich sehr viel geändert“, sagt der 64-Jährige. Er hat mittlerweile nur noch 50 Prozent seiner Kunden und erwirtschaftet nur noch 50 Prozent des Umsatzes. Es rechnet sich nicht mehr. 

Aus Volker Becker dem Friseur-Meister wird Volker Becker der Lkw-Fahrer.
Aus Volker Becker dem Friseur-Meister wird Volker Becker der Lkw-Fahrer.

Ich ziehe einen kompletten Schlussstrich. Meine Schwester und ich verkaufen das Haus, ich ziehe mit meiner Familie in eine Wohnung nach Rilchingen-Hanweiler und ich werde Lkw-Fahrer“, sagt Volker Becker und lacht. „Meine Cousine hat ein Unternehmen, das ständig Lkw-Fahrer sucht. Da habe ich öfters schon mal ausgeholfen. Das war cool und man kommt auch mal aus dem Saarland raus. Ich freue mich auf die neue Aufgabe und ein ganz anderes Leben. Bis heute hatte ich immer eine 50-Stunden-Woche“, sagt er.

 

Bis zum 3. September freut er sich, wenn er seine Kunden noch einmal sieht und über alte Zeiten sprechen kann. „In den 1970er Jahren war bei den Frisuren die Wasserwelle voll im Trend. In den 1980er Jahren kam Vokuhila (vorne kurz, hinten lang). Vorne sechs Zentimeter kurze und zurück geföhnte Haare und hinten Schulter lang. Das sah richtig scheiße aus“, sagt er und lacht erneut. „In den 90er Jahren kam das Haargel ins Spiel und ab den 2000er die Haarschneide-Maschine. Es hat sich immer etwas verändert.“ Noch etwa 40 Mal Haare schneiden, dann wird die Schere für immer weggepackt und in Rilchingen-Hanweiler und in einem Lkw-Führerhaus beginnt für Volker Becker ein ganz neues Abenteuer.

 

Text und Fotos: Heiko Lehmann.